Die Vielfalt der Nutzpflanzen als ein Rettungsanker in der Klimakrise
Von Stefan Schmitz - Geschäftsführender Direktor des Crop Trust
Mitunter heißt es, dass eine Krise die nächste nach sich zieht. Tatsächlich besteht kaum ein Zweifel daran, dass die Menschheit heute mit einer Kaskade von Krisen konfrontiert ist, die eng mit dem Klimawandel zusammenhängen.
In den 30 Jahren seit der Verabschiedung des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) hat sich unser Wissen über die Hintergründe der globalen Erwärmung enorm erweitert und die sichtbaren Auswirkungen sind an vielen Fronten zu spüren.
Mehr als 100 Staats- und Regierungschefs kommen auf der 27. Konferenz der Vertragsparteien (COP27) des UNFCCC in Sharm El-Sheikh, Ägypten, zusammen, um auf die Umsetzung bestehender Klimavereinbarungen hinzuarbeiten und eine immer länger werdende Liste miteinander verbundener Krisen anzugehen.
"Wir müssen eine harte Wahrheit anerkennen: Es gibt keine Anpassung an eine wachsende Zahl von Katastrophen, die alle weltweit enormes Leid verursachen", sagte UN-Generalsekretär António Guterres in seiner Eröffnungsrede auf der COP27. "Die tödlichen Auswirkungen des Klimawandels sind hier und jetzt."
8 Milliarden wollen satt werden
Der Handlungsbedarf kann nicht geleugnet werden. Land- und Meeresökosysteme, die biologische Vielfalt und das Leben der Menschen sind in sich selbst verstärkende Krisen verwickelt. Sie haben eine gemeinsame Ursache, aber scheinen sich zu verselbstständigen und behindern unsere Fähigkeit, eine Weltbevölkerung zu ernähren, die diesem Monat 8 Milliarden Menschen erreicht.
Die Klimakrise ist eine ernste Bedrohung für die weltweite Ernährungssicherheit. Am ersten Tag der COP27 erinnerten die Organisatoren eines Round Table-Gespräch die Teilnehmenden daran, dass die Produktivität der landwirtschaftlichen Flächen in den letzten Jahrzehnten aufgrund der mit dem Klimawandel verbundenen hohen Temperaturen und veränderten Niederschlagsmengen um 21 Prozent zurückgegangen ist.
Dieser Einbruch der landwirtschaftlichen Produktion ist eine Gefahr für die Lebensgrundlagen, die Infrastruktur und die politische Stabilität in einer Zeit raschen Bevölkerungswachstums und steigender Nachfrage nach Nahrungsmitteln. All dies führt zu einem verschärften Wettbewerb um Ressourcen und einer größeren Preisvolatilität, wie jüngst die Krise bei der Getreideversorgung infolge des Krieges in der Ukraine gezeigt hat.
Anpassung der Landwirtschaft
Die gute Nachricht ist, dass eine der wichtigsten Lösungen für diese Krise in der Natur selbst zu finden ist: die Pflanzenvielfalt. Wissenschaftler, Züchter und Landwirte können widerstandsfähige Nutzpflanzen - die sowohl in der freien Natur als auch auf den Feldern der Landwirte zu finden sind - nutzen, um unsere Landwirtschaften an raue Umgebungen anzupassen, die Umweltzerstörung zu mindern, den Lebensunterhalt zu sichern und genügend nahrhafte Lebensmittel für alle bereitzustellen. Und das alles zur gleichen Zeit!
Die Bedeutung dieser Vielfalt wird im Internationalen Saatgutvertrag und in den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung anerkannt.
Werden die Eigenschaften von traditionellem Saatgut und wildwachsenden Verwandten unserer Kulturpflanzen auf neue Pflanzensorten übertragen, können sie den Landwirten helfen, ihre Erträge zu steigern, Grenzertragsflächen nachhaltiger zu bewirtschaften und die Effizienz der landwirtschaftlichen Produktion zu verbessern.
Aber genetische Vielfalt ist nicht genug. Es geht auch um die Verbreiterung der sehr schmal gewordenen Basis der genutzten Pflanzenarten. Wenn wir bedenken, dass nur neun Pflanzenarten zwei Drittel der gesamten pflanzlichen Produktion ausmachen, wird deutlich, wie anfällig unsere Ernährungssysteme gegenüber dem Klimawandel sind. Unsere Ernährungssysteme müssen weit mehr Nutzpflanzen umfassen, nicht nur Weizen, Reis, Mais und Kartoffeln. Wir müssen mehr Gemüse, Obst und Hülsenfrüchte anbauen.
Der Anbau einer Vielfalt von Nutzpflanzen und Pflanzensorten bedeutet mehr Widerstandsfähigkeit gegenüber Klimawandel und schafft die Grundlage gesünderer Ernährung und einer besseren Lebensgrundlage für die Menschheit. Es gibt Hunderte von Pflanzenarten, die häufiger angebaut werden sollten; etwa die weniger bekannten Fingerhirse und Graserbsen, die auch in Trockenzonen gedeihen. Sie erweisen sich in Dürrephasen und bei Ernteausfällen anderer Nutzpflanzen als weiterhin zuverlässige Nahrungsquellen. Allerdings werden bislang zu wenig Forschungs- und Entwicklungsgelder bereitgestellt, um die Verbreitung der Nutzpflanzenvielfalt zu ermöglichen. Auch wenn dadurch die Agrarproduktion auf eine breitere Basis gestellt würde, wird den infrage kommenden Pflanzenarten zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Würden hier Züchtung und Anbau gefördert, könnten sich daraus relativ rasch Lösungen für die sichere Grundversorgung von vielen Millionen Menschen ergeben.
Die Saatgutbanken in aller Welt und insbesondere deren Netzwerk, das die weltweiten Züchtungsprogramme für Nutzpflanzen am Laufen hält, sind angesichts der Gefährdung einer ausreichenden Nahrungsversorgung durch den Klimawandel eine Art Lebensversicherung der Menschheit. Nur durch eine stabile langfristige Finanzierung der wichtigsten Saatgutbanken ist es möglich, ein globales System zur Erhaltung der Pflanzenvielfalt zu schaffen, das auf Dauer sicher funktionieren kann.
Der Svalbard Global Seed Vault, der globale Saatguttresor in der Kälte auf Spitzbergen, bietet zusätzliche Sicherheit für den Fall, dass nationale Sammlungen von Saatgut durch Naturkatastrophen, Schädlingsbefall, Kriege oder Geräteausfälle verloren gehen oder zerstört werden. Auf Spitzbergen eingelagerte Saatproben können dann für die Wiederanpflanzung und Vermehrung von Saatgut herangezogen werden.
Machen wir uns nichts vor: Die weltweite Nahrungsmittelversorgung steht auf der Kippe und macht Milliarden von Menschen im globalen Süden anfälliger für Armut, Hunger und politische Instabilität. Die vollständige Umsetzung des Pariser Abkommens zur Entschärfung der Klimakrise sollte deshalb das Hauptziel des COP27-Gipfels sein.
Während die Menschheit mit dieser gigantischen Aufgabe ringt, sollte nicht vergessen werden, dass es bereits bewährte Lösungsansätze gibt, die „Mutter Natur“ bereithält. Es ist Zeit, sich ihrer zu bedienen.